Prof. Dr. Svend Hansen, 1. Direktor der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Institutes
Der Seddiner Grabhügel barg eine aus großen Steinen gebaute Kammer, in der sich die Bestattung vermutlich eines Mannes und zweier Frauen fand. Die große bronzene Amphora war mit einer bronzenen Schmuckscheibe verschlossen und enthielt die verbrannten Knochenreste eines erwachsenen Mannes. Sie stand wiederum in einer großen Tonsitula, die ebenfalls mit einem Deckel verschlossen war. In anderen Tongefäßen befand sich der Leichenbrand von zwei weiteren vermutlich weiblichen Individuen.
Ganz ähnlich wie in Seddin wurde um 800 v. Chr. im großen Grabhügel „Lusehøj“ bei Voldtofte auf Fünen der Leichenbrand in einem Bronzegefäß zusammen mit anderen Beigaben deponiert. Zusätzlich war er in ein Tuch gehüllt, das möglicherweise aus dem Ostalpenraum stammte. Das Gefäß wurde dann mit einem Bronzedeckel sowie mit Harz verschlossen, in das man Bernsteinstücke eingesteckte.
Für die Verwendung von Metallgefäßen als Leichenbrandbehältnis gibt es im nördlichen Mitteleuropa zahlreiche weitere Beispiele des 7. Jh. v. Chr., die als ein Ergebnis der transalpinen Kontakte der herrschenden Familien gedeutet werden können.
Für den ideologischen Hintergrund dieser Bestattungen ist ein Grab aus Lefkandi auf Euböa in Griechenland aufschlussreich. Dort fand sich in einem großen Gebäude die Bestattung einer Frau mit reichem Goldschmuck. Neben der Frau stand eine Bronzeamphora, mit dem Leichenbrand eines Mannes- ebenfalls in Stoff gehüllt. Zu seinen Beigaben zählten Schwert, Lanze und Schleifstein. Das Grab kann in das 10 Jh. v. Chr. datiert werden. Die Urne – im 12. Jh. v. Chr. wohl auf Zypern hergestellt – war zu diesem Zeitpunkt schon eine Antiquität.
Es handelt sich hier um ein sogenanntes „homerisches“ Begräbnis und zwar zweihundert Jahre vor Homer. Der Tote ist in ähnlicher Weise beigesetzt, wie es im 23. Buch der Ilias beschrieben wird. Patroklos, der im Kampf um Troja durch Hektor getötet worden war, wird von seinem Freund Achilleus bestattet. Sein Körper wird verbrannt, die Knochensplitter aus dem Scheiterhaufen ausgelesen, mit Fett ummantelt – die Gebeine Hektors werden dagegen in Stoff gehüllt – und schließlich in einer Goldschale unter einem Hügel beigesetzt. Anschließend werden sportliche Wettkämpfe zu Ehren des Toten veranstaltet.
Das Grab von Lefkandi lässt sich als Vertreter einer viel älteren früheisenzeitlichen Tradition von „Helden“begräbnissen verstehen. Solche „homerischen“ Begräbnisse waren in Griechenland auch in spätgeometrischer Zeit bekannt und erfuhren im 5. Jh. v. Chr. sogar eine gewisse Renaissance.
Homer, der berühmte Dichter aus Smyrna, hat in seiner Ilias keine bronzezeitliche, sondern eine früheisenzeitliche Bestattungszeremonie beschrieben. Erst nach 1100 v. Chr. ging man in Griechenland zur Verbrennung der Toten über. Während man den Leichenbrand üblicherweise in Tongefäßen unterschiedlicher Form beisetzte, stellte die Bestattung in einem goldglänzenden Gefäß sicher eine besondere Hervorhebung dar. Möglicherweise war sie Ausdruck eines überregionalen Codes der Selbstdarstellung der herrschenden Familien im Grab.
Auch wenn der Bericht Homers über die Bestattungen des Patroklos und Hektors nicht einfach in den Norden Europas, also nach Seddin und Fünen, übertragen werden kann, vermitteln die folgenden Zitate eine eindrucksvolle Vorstellung vom Ablauf und der Komplexität des Bestattungsrituals jener Zeit.
Skript: Jens May, Gebietsarchäologe am Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum
Zitate: Homer in der Übersetzung von Roland Hampe
Sprecher: Aus dem 23. Gesang. An Stelle von Achilles zieht sein engster Freund Patroklos in das Gefecht und wird von dem trojanischen Königssohn Hektor getötet. Die Verzweifelung und Trauer des Achilles ist groß. Für Patroklos muss ein Grabhügel errichtet werden. Vorher wird seine Leiche verbrannt. Homer beschreibt die Verbrennungszeremonie so:
(……………………………………………..) (Sie) schichteten Holz auf,
Bauten den Scheiterhaufen, je hundert Fuß hierhin und dorthin,
Legten zuoberst die Leiche darauf bekümmerten Herzens. (165)
Viele feiste Schafe und Rinder mit Krummhorn (……)
Zogen sie emsig ab vorm Scheiterhaufen; von allen
Nahm das Fett heraus und umhüllte den Toten Achille()s,
(von) Kopf bis Fuß, und schichtete rings die gehäuteten Leiber;
Stellte hinein Amphoren, gefüllt mit Honig und Salböl, (170)
Sie an das Lager lehnend; vier Rosse mit kräftigen Nacken
Warf er stürmisch hinein in den Scheiterhaufen, laut stöhnend.
Hunde waren dem Herrscher neun am Tische gewesen,
Zweien durchschnitt er den Hals, in den Scheiterhaufen sie werfend,
und zwölf edle Söhne dazu der mutigen Tro(i)er. (175)
Sprecher: Nachdem das Feuer herunter gebrannt ist, lässt Homer den Achilles folgende Anweisung geben:
(…) (235)
Löscht den Scheiterhaufen zuerst mit funkelndem Weine
Ringsum, soweit die Kraft der Flamme hin reicht; danach
Dann Sammeln wir des Patroklos Gebein, (…)
Es genau unterscheidend. Es ist sehr klar zu erkennen; (240)
Denn er lag in der Mitte des Brandes, die anderen verbrannten
Außen am Rande, die Pferde und Männer gemischt Durcheinander.
Diese laßt uns in goldenem Gefäße in doppelte Fettschicht
Legen, bis ich dann selber im Hause des Hades mich berge.
Aber ich rate, den Hügel nicht allzu hoch zu errichten, (245)
Sondern nur so mit Maß; (…)
Also sprach er; die Männer gehorchten dem schnellen Pelliden,
löschten den Scheiterhaufen zuerst mit funkelndem Weine
(250)
So weit die Flammen hin reichten, da rann viel Asche herunter.
Weinend bargen sie dann des milde gesinnten Gefährten
Weiße Gebeine in goldnem Gefäße mit doppelter Fettschicht,
Setzten es nieder im Zelt, es mit weichem Leinen umhüllend.
Und sie zogen den Kreis für das Grabmal und legten des Grundes
(255)
Steine rings um den Haufen und schütteten Erde darüber.
Sprecher: Aus dem 24. Gesang. Der Tod des Patroklos bleibt für die Troier nicht ohne Folgen. Achilles zwingt Hektor zum Zweikampf und tötet den trojanischen Königssohn. Erst auf Bitten des Königs Priamos gibt Achilles nach einigen Tagen die Leiche des Hektors an die Troier heraus. Auch für Hektor muss ein Grabhügel errichtet werden. Dazu berichtet Homer:
Als sie sich alle vereinigt hatten in der Versammlung; (790)
Löschten Sie zuerst den Scheiterhaufen mit funkelndem Weine;
(...) dann aber
Sammelten auf das weiße Gebein die Brüder und Freunde
Jammernd, und reichlich floß von den Wangen, die quellende Träne
Und sie legten die Knochen in eine goldene Truhe (795)
Und verhüllten sie dann mit weichen Purpurgewändern,
setzten sodann in hohler Grube sie bei, und darüber
Türmten sie dichtgehäuft gewaltige Blöcke von Steinen,
(und) warfen den Grabhügel auf.
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Lila = Kommentare und Erläuterungen Sprecher
Rot = Zitate Homer in der Übersetzung Hampe durch Sprecher
(…) = ausgelassene Textstellen
(Rot) = geringfügige redaktionelle Einfügungen zur Glättung des Textes durch Sprecher
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